Aktuelles, Branche - geschrieben von dp am Freitag, März 15, 2024 15:14 - noch keine Kommentare
TikTok: Drohendes Verbot in den USA
TikTok-Fall als Balanceakt zwischen Nationaler Sicherheit und Aufrechterhaltung der globalen Internetwirtschaft
[datensicherheit.de, 15.03.2024] Laut einer Meldung von Arctic Wolf hat das US-Repräsentantenhaus am 13. März 2024 einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der den chinesischen Eigentümer von „TikTok“ – ByteDance – per Gesetz dazu zwingen soll, diese Videoplattform zu verkaufen. Jetzt geht der Entwurf demnach an den US-Senat. Adam Marrè, „Chief Information Security Officer“ bei Arctic Wolf und ehemaliger FBI Special Agent sowie „Cyber Investigator“, kommentiert die Entwicklungen rund um „TikTok“ und deren möglichen Konsequenzen für die globale Internetwirtschaft.
Foto: Arctic Wolf
Adam Marrè: Effektivere Aufsicht über Apps in ausländischem Besitz könnte Verbot unnötig machen
Auswirkungen von TikTok auf Nationale Sicherheit befürchtet
„Die US-Gesetzgeber sind zu Recht besorgt über die Auswirkungen von ,TikTok’ auf die Nationale Sicherheit und haben die Notwendigkeit eines Eingreifens erkannt“, so Marrè in seinem Kommentar. Indes betont er, dass jedoch das Verbot einer sich in ausländischem Besitz befindlichen App „keine tragfähige langfristige Lösung“ sei, da es das eigentliche Problem nicht angehe – nämlich die die unregulierte Art und Weise, „wie Soziale Medien und Tech-Unternehmen Nutzerdaten sammeln, speichern und nutzen“. Solche Maßnahmen lösten nicht das grundlegende Problem, „mit dem Bürgerinnen und Bürger konfrontiert sind und das der Gesetzgeber nicht rechtzeitig in Angriff genommen hat: das Fehlen strenger Bundesgesetze zum Datenschutz“.
Obwohl „TikTok“ mit seinen ausländischen Verbindungen einzigartige Risiken mit sich bringe, bedeute dies nicht, dass „einheimische“ Tech-Unternehmen weniger invasiv oder sicherer im Umgang mit Daten seien – das Risiko sei hier nur weniger offensichtlich. Marrè erläutert: „Das Fehlen strenger Vorschriften für Datenverkäufe oder Manipulationen von Algorithmen bedeutet, dass jedes Unternehmen, ob im In- oder Ausland, User-Daten ausnutzen oder die öffentliche Meinung auf subtile Weise beeinflussen könnte.“ Zwar sei es richtig, sich mit den spezifischen Bedrohungen durch „TikTok“ zu befassen, aber als nachhaltige, umfassende Strategie seien solche Bemühungen unzureichend, da sie sich nicht mit den allgemeineren Datenschutz- und Sicherheitsbedenken der Tech-Branche befassten.
Statt eines TikTok-Verbots bessere Spielregeln für Internet-Giganten empfohlen
Der „Digital Services Act“ der EU – seit dem 17. Februar 2024 in vollem Umfang durchsetzbar – ziele darauf ab, einen sichereren Digitalen Raum zu schaffen, „in dem die Grundrechte der Nutzer geschützt sind und gleiche Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen geschaffen werden“. Illegale Inhalte sollten auch leichter zu entfernen sein. Neben Online-Marktplätzen, Content-Sharing-Plattformen und ähnlichen Online-Auftritten sollten mit der Gesetzgebung auch Apps Sozialer Netzwerke reguliert werden.
„Einheitliche Regelungen, die für Anbieter aus allen Herkunftsländern gelten, könnten langfristig die effektivere Variante sein“, unterstreicht Marrè, warnt aber auch: „Allerdings nur, wenn die Regeln die allgemeine Meinungsfreiheit nicht zu sehr einschränken – wie Verbraucherschützer bereits mehrfach gewarnt haben – und die Einhaltung der Richtlinien kontrolliert und Verstöße geahndet werden können.“
TikTok oder Meta – Bedrohung durch TikTok doch noch stärker
Marrè erläutert: „Es geht nicht um den Kampf Meta gegen ,TikTok’ – bei beiden sind Bedenken angebracht. Ja, Social-Media-Plattformen wie ,facebook’ stellen ein erhebliches Risiko dar, weil sie umfangreiche Nutzerdaten sammeln, um die User auszunutzen und potenziell zu gefährden, aber sie könnten zumindest theoretisch durch US-Gesetze oder die Möglichkeit einer Regulierung eingeschränkt werden.“ „TikTok“ stelle jedoch eine erhöhte Bedrohung dar, da es jenseits solcher gesetzlichen Schutzmaßnahmen operiere. „Das Fehlen einer Aufsicht bedeutet, dass die App-Betreiber alle gesammelten Daten nutzen und ihren Algorithmus manipulieren können, um die öffentliche Meinung, vor allem unter Jugendlichen, auf subtile Weise und völlig ungestraft zu beeinflussen.“
Die Fähigkeit dieser Plattform zur verdeckten Beeinflussung der gesellschaftlichen Wahrnehmung in Verbindung mit der Möglichkeit, die immensen Mengen an detaillierten Daten, die sie sammelt, in einer Weise zu nutzen, die den Interessen der USA schadet, erhöht laut Marrè das Risiko zusätzlich. Sie operiere unter einer ausländischen Gerichtsbarkeit, welche dafür bekannt sei, Informationen zu ihrem Vorteil zu nutzen – und somit die Besorgnis über ihre unkontrollierte Macht noch verstärke.
TikTok-Verbot könnte internationale Beziehungen weiter belasten
Ein Verbot von „TikTok“ in den USA könnte aber weitreichende internationale Auswirkungen haben und insbesondere die Spannungen zwischen den USA und China bzw. dem Westen und Teilen Asiens verschärfen. Außerdem könnte dieses Verbot Vorbild für weitere westliche Nationen werden, es den USA gleichzutun. Ein solch gezieltes Verbot würde die Bereitschaft der USA und des Westens signalisieren, strengere Maßnahmen gegen die chinesische Technologiepräsenz zu ergreifen, „die sich auch auf andere chinesische Plattformen auswirken und die technologische Entkopplung zwischen den beiden Ländern bzw. Regionen verstärken könnten“.
Diese Maßnahme könnte die bereits angespannten Beziehungen weiter verschlechtern und zu einem breiteren geopolitischen Wettbewerb beitragen, bei dem die US-Maßnahmen als aggressive Schritte zur Eindämmung von Chinas technologischem und geopolitischem Einfluss wahrgenommen würden. Darüber hinaus spiegele der Fokus auf „TikTok“ die Besorgnis in den USA und im Westen wider, einen strategischen Vorteil gegenüber China zu verlieren, insbesondere im Technologiesektor.
Ein Verbot von TikTok könnte unheilvollen Präzedenzfall schaffen
Die weiterreichenden Auswirkungen eines Verbots könnten auch den globalen Handel, die Kommunikationsströme und den Zugang zu Informationen in Frage stellen und andere Länder im Gegenzug dazu veranlassen, ähnliche Beschränkungen für US-Unternehmen zu verhängen – „insbesondere angesichts der weltweiten Besorgnis über das unregulierte ,Daten-Ökosystem’ der USA“.
Es werde befürchtet, dass ein solcher Schritt einen Präzedenzfall schaffen und zu einem zunehmend fragmentierten Internet führen könnte, was den internationalen Datenfluss stören und den globalen digitalen Handel und die Kommunikation beeinträchtigen würde. Die Debatte um „TikTok“ berühre daher Themen, die weit über diese App selbst hinausgingen und Fragen nach dem Gleichgewicht zwischen Nationaler Sicherheit und globaler Internetwirtschaft aufwerfen würden.
TikTok-Verkauf an US-Unternehmen als möglicher Ausweg
Angesichts der großen Beliebtheit dieser App und der logistischen Herausforderungen bei der Umsetzung eines vollständigen Verbots wäre es für ByteDance, die Muttergesellschaft von „TikTok“, eine praktikablere Lösung, das im aktuellen Gesetzentwurf vorgesehene Verbot zu umgehen und seine US-Aktivitäten an ein US-amerikanisches Unternehmen zu veräußern. Die Umsetzung eines vollständigen Verbots von „TikTok“ sei mit erheblichen logistischen Herausforderungen verbunden. „Es ist davon auszugehen, dass ein Verbot die Nutzerbasis der App erheblich reduzieren würde. Damit fungiert das drohende Verbot indirekt als Druckmittel, um ByteDance dazu veranlassen, einen Verkauf des TikTok-Geschäfts in den USA zu erwägen.“
Außerdem müsse erwähnt werden, dass das Versagen des US-Kongresses bei der Regulierung inländischer Social-Media-Unternehmen den Weg für ausländische Organisationen geebnet habe, Apps wie „TikTok“ ohne Einschränkungen zu betreiben. Marrès Fazit: „Hätte der Kongress strenge, klare und robuste Vorschriften erlassen, die die Privatsphäre der Nutzer und Nutzerinnen schützen und ihnen die Kontrolle über die Erhebung, Speicherung und Verwendung persönlicher Daten ermöglicht, hätten wir eine effektivere Aufsicht über Apps in ausländischem Besitz und ein Verbot wäre mit höherer Wahrscheinlichkeit unnötig.“
Weitere Informationen zum Thema:
tagesschau, 13.03.2024
Drohendes Verbot in den USA / Repräsentantenhaus will TikTok-Verkauf erzwingen
Die Bundesregierung
Digital Services Act / Das Gesetz über digitale Dienste
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