Aktuelles, Experten - geschrieben von am Mittwoch, November 18, 2020 19:11 - noch keine Kommentare

Offener Brief: Verschlüsselung nicht in Frage stellen

Reporter ohne Grenzen und Netzwerk Recherche fordern Regierungen der EU-Staaten auf, Verschlüsselung bei Messenger-Diensten zu wahren

[datensicherheit.de, 18.11.2020] In einer gemeinsamen Stellungnahme fordern Reporter ohne Grenzen (RSF) und Netzwerk Recherche (nr) die Regierungen der EU-Staaten auf, „die Vertraulichkeit verschlüsselter Messenger-Dienste nicht in Frage zu stellen“. Vor dem Hintergrund des jüngsten Terroranschlags in Wien unternehme der EU-Ministerrat unter deutschem Vorsitz derzeit einen neuen Vorstoß, um Sicherheitsbehörden den Zugriff auf verschlüsselte Chats bei Diensten wie „WhatsApp“, „Signal“ und „Threema“ zu ermöglichen – damit gefährde der Rat die Vertraulichkeit der Kommunikation von Journalisten sowie den Schutz ihrer Quellen.

Verschlüsselung funktioniert entweder ausnahmslos oder überhaupt nicht

In einem gemeinsamen Offenen Brief fordern RSF und nr den Rat der EU und die beteiligten deutschen Ministerien deshalb auf, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nicht anzutasten sowie ihre Pläne transparent und unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft zu diskutieren.
„Verschlüsselung funktioniert entweder ausnahmslos oder sie funktioniert überhaupt nicht. Jede noch so gezielte Hintertür für die Sicherheitsbehörden würde Journalistinnen, Journalisten und alle anderen Nutzer der Gefahr von Hackerangriffen und Spionage aussetzen“, warnt RSF-Geschäftsführer Christian Mihr.

Messenger-Dienste mit Verschlüsselung für Journalisten im Digitalen Zeitalter wesentliches Mittel der Recherche und Kommunikation

Sicher verschlüsselte Messenger-Dienste seien für Journalisten im Digitalen Zeitalter „ein wesentliches Mittel der Recherche und Kommunikation“, betont Mihr und stellt klar: „Wer dieses Instrument in Frage stellt, gefährdet perspektivisch die Vertraulichkeit journalistischer Recherchen und damit die Kontrollfunktion der Medien in einer Demokratie.“
Laut einem Bericht des Österreichischer Rundfunks (ORF) sei nach dem Terroranschlag in Wien innerhalb weniger Tage ein Resolutionsentwurf zu diesem Thema im EU-Ministerrat so weit vorangetrieben worden, dass ihn die Innen- und Justizminister der Europäischen Union schon Anfang Dezember 2020 ohne weitere Diskussion verabschieden könnten. Eine solche Resolution hätte zunächst zwar noch keine unmittelbaren praktischen Folgen, könnte aber den Anstoß für eine künftige EU-Verordnung bilden.

Aushebelung der Verschlüsselung: Alle Optionen führen zu Abstrichen beim Schutz der Privatsphäre

Der aktuelle Vorstoß schließe an die Diskussion über Zugriffsoptionen zur Erkennung von Bildmaterial von sexuellem Kindesmissbrauch an. Der „SPIEGEL“ hatte laut RSF im September 2020 über ein für die EU-Kommission erstelltes Arbeitspapier berichtet:
Dieses habe zehn Möglichkeiten beleuchtete, wie Messenger-Anbieter verschlüsselte Daten durchsuchen könnten – in diesem Fall auf Bilder von sexualisierter Gewalt an Kindern. Alle diese Optionen würden dem Papier zufolge Abstriche beim Schutz der Privatsphäre für Nutzer der Messenger-Dienste bedeuten.

Weitere Informationen zum Thema:

RSF REPORTER OHNE GRENZEN, 17.11.2020
Offener Brief an den Rat der Europäischen Union, das Bundesministerium der Justiz und das Bundesministerium des Innern: Verschlüsselung von Messenger-Diensten nicht aushebeln

SPIEGEL Netzwelt, Patrick Beuth, 08.09.2020
EU-Kommission gegen Kindesmissbrauch / Verschlüsselung bitte nur für gute Menschen

datensicherheit.de, 18.11.2020
Terroranschläge befeuern Primat der Überwachung / Prof. Dr. Jörn Müller-Quade warnt vor Überwachung durch Hintertüren in der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung



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