Aktuelles, Experten - geschrieben von dp am Sonntag, September 13, 2020 21:51 - noch keine Kommentare
EU: Dr. Patrick Breyer kritisiert verdachtslose Nachrichten-Durchleuchtung
EU-Kommission sollte besser Kinder schützen statt Bürger auszuspähen, fordert der MdEP
[datensicherheit.de, 13.09.2020] Laut einer aktuellen Meldung des Europaabgeordneten Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei) schlägt die EU-Kommission „die verdachtslose Durchleuchtung und Überwachung sämtlicher privater elektronischer Kommunikation zur Suche nach möglichen kinderpornographischen Inhalten“ vor. Hierzu sei am 10. August 2020 ein entsprechender Gesetzesentwurf vorgelegt werden. „Meldet ein Algorithmus einen Verdachtsfall, dürfen Nachrichteninhalt und Kundendaten automatisiert und ohne menschliche Prüfung an Strafverfolger und Nichtregierungsorganisationen weltweit weitergeleitet werden.“ Die Betroffenen sollten davon unabhängig vom Ausgang der Prüfung nie erfahren.
EU-Kommission möchte Inhalt aller privaten Nachrichten verdachtslos überprüfen lassen
Internationalen Anbietern von E-Mail- und Messenger-Diensten solle es gestattet werden, den Inhalt aller privaten Nachrichten verdachtslos nach Kinder- und Jugendpornographie sowie der „Anbahnung sexueller Kontakte“ Minderjähriger zu durchsuchen und an Behörden und Nichtregierungsorganisationen weltweit zu melden.
Gesucht werden dürfe nicht nur nach bekannten Bildern und Videos, es solle auch fehleranfällige Künstliche Intelligenz (KI) etwa zur automatisierten Durchsuchung von Textnachrichten auf „Anbahnungsversuche“ zugelassen werden.
Dr. Breyer warnt vor Folgen des Vorstoßes der EU-Kommission
Dr. Patrick Breyer, MdEP, prangert diesen Vorstoß nach eigenen Angaben an: Frau von der Leyen versuche diesmal über die EU, unsere Sicherheit und Privatsphäre im Netz anzugreifen. Er warnt: „Was sie nicht begreift: Kriminelle verstärkt in abhörsichere Kommunikationskanäle zu verdrängen, wird die Verfolgung von Kindesmissbrauch teilweise sogar unmöglich machen.“
Bestehen blieben die wahren Versäumnisse der Politik beim Schutz von Kindern, etwa in den Bereichen mangelnder Vorbeugung von Kindesmissbrauch, unzureichender Finanzierung von Therapieangeboten oder völlig überlasteter Kriminaltechniker.
Sicherheit der Internetkommunikation von Millionen unbescholtener EU-Bürger gefährdet
Konzerne wie Facebook und Google den Inhalt unserer gesamten privaten Kommunikation verdachtslos und flächendeckend abfangen und auswerten zu lassen, sei zur Aufklärung der von Organisierter Kriminalität (OK) genutzten Kanäle „absolut untauglich und kontraproduktiv“, bedrohe aber die Privatsphäre und die Sicherheit der Internetkommunikation von Millionen unbescholtenen Bürgern und werde vor Gericht wohl keinen Bestand haben. Man stelle sich vor, die Post würde auf der Suche nach Verbotenem alle Briefe öffnen.
„Da fehleranfällige und undurchsichtige KI-Textfilter zum Einsatz kommen sollen, drohen massenhafte Falschverdächtigungen und ein tausendfaches Mitlesen privater Nachrichten durch internationale Konzerne.“ Besonders betroffen wären Nachrichten von Teenagern untereinander, die ein Recht auf Respekt ihres Sexuallebens hätten. Verdachtsmeldungen sollten unkontrollierbar an Staaten wie die USA weitergeleitet werden, „in denen keinerlei Datenschutz gilt, mit unabsehbaren Konsequenzen“.
Gesetzentwurf der EU-Kommission im Widerspruch zum Europäischen Code für elektronische Kommunikation
Der Gesetzentwurf der EU-Kommission stehe mit einem schon beschlossenen Gesetz zum Schutz der Internetkommunikation, das mit dem Europäischen Code für elektronische Kommunikation zum Jahresende 2020 in Kraft treten solle, im Widerspruch. Dieser Code habe das Ziel, die Vertraulichkeit von Nachrichten über Messenger-Dienste, E-Mail-Kommunikation und Internettelefonie zu schützen und das Fernmeldegeheimnis auf sie zu erstrecken. Eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zum Schutz vor Ausspähung solle verpflichtend werden.
Die jetzt geplanten Gesetzesänderungen hebelten diese Vertraulichkeit wieder aus und schafften Hintertüren. Breyer betont: „Verdachtslose Massendurchleuchtung privater Nachrichten verletzt das Grundrecht auf Achtung unserer Privatsphäre und unserer Korrespondenz. Die Sicherheit unserer Kommunikationsinfrastruktur vor Kriminellen und Geheimdiensten braucht wirksame Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und keine Hintertüren!“
Ausländische Konzerne dürften nicht zu einer EU-Privatpolizei werden
Breyer hält die Überwachung kommerzieller Kommunikationsdienste im Kampf gegen kriminelle Inhalte im Netz für „wirkungslos“, da die Organisierte Kriminalität auf andere Kommunikationswege zurückgreife, welche sich der Filterung entzögen.
„Wer die Strafverfolgung verbessern will, muss endlich den erschreckenden Rückstau bei der Auswertung beschlagnahmter Datenträgern angehen. Statt ausländische Konzerne zu einer Privatpolizei zu machen, muss die Kriminalistik endlich im Digitalen Zeitalter ankommen!“ In der Vergangenheit hätten Ermittlungen wegen eines falschen Verdachts auf Kinderpornographie-Besitz teilweise zu Selbstmorden geführt.
Effektives Vorgehen im Kampf gegen Kindesmissbrauch sollte EU-weit an erster Stelle stehen!
Nach Schätzungen würden zehn Prozent aller Kinder im Laufe ihres Lebens Opfer sexuellen Missbrauchs, der meist im Kreis der Familie, Freunde und Bezugspersonen stattfinde. Die Zahlen seien erfreulicherweise rückläufig.
Um wirksam gegen Kindesmissbrauch vorzugehen, sollte die effektive Prävention in den Fokus rücken, z.B. durch „Aufklärung junger Menschen über Gefahren im Netz“. Korrigiert werden müsse die unzureichende Finanzierung von Therapieangeboten. „Außerdem muss den mit der Auswertung beschlagnahmter Datenträger schon heute völlig überlasteten Kriminaltechnikern geholfen werden“, fordert Dr. Breyer erneut.
Weitere Informationen zum Thema:
Europäisches Parlament, 11.12.2018
RICHTLINIE (EU) 2018/1972 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 11. Dezember 2018 über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation (Neufassung)
CBC, 14.03.2006
Global child porn probe led to false accusations
Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs
Häufigkeitsangaben zum sexuellen Missbrauch / Internationale Einordnung, Bewertung der Kenntnislage in Deutschland, Beschreibung des Entwicklungsbedarfs
datensicherheit.de, 04.01.2020
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