Aktuelles, Experten - geschrieben von dp am Mittwoch, August 4, 2021 17:29 - noch keine Kommentare
E-Evidence-Verordnung der EU: Ärztliche Schweigepflicht bedroht
Freie Ärzteschaft e.V. übt Kritik an geplanter EU-Verordnung
[datensicherheit.de, 04.08.2021] Laut einer aktuellen Stellungnahme des Freie Ärzteschaft e.V. (FÄ) hat das EU-Parlament „eine neue Verordnung beschlossen, die nach Zustimmung des Europäischen Rates gültig werden soll“: Mithilfe der sogenannten E-Evidence-Verordnung könnten Staaten dann grenzüberschreitend die Herausgabe von in „Clouds“ gespeicherten personenbezogenen Daten von EU-Bürgern eines anderen Staates anfordern. Aus Sicht des Grundrechts „ein Unding“. FÄ-Vizevorsitzende Dr. Silke Lüder kommentiert: „Künftig würde nicht mehr eine staatliche Behörde des eigenen Landes entscheiden, ob Daten der eigenen Bürger an einen anderen Staat übermittelt werden, sondern der Internetprovider, ein Soziales Netzwerk oder die kleine Hosting-Firma.“
Ärztliche Schweigepflicht und Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung werden in der EU zur Makulatur
Das würde beispielsweise bedeuten: „Bei einem in Deutschland durchgeführten legalen Schwangerschaftsabbruch, der in einem anderen EU-Land strafbar ist, kann ein Staatsanwalt dieses Landes auf die internen Daten der Abtreibungsklinik oder -praxis in Deutschland zugreifen.“
Lüder erläutert, was das generell für die hochsensiblen Patientendaten bedeutet: „Da alle ärztlichen Daten in Deutschland künftig in Form von elektronischen Patientenakten (ePA) bei IT-Firmen in der ,Cloud‘ gespeichert werden sollen, sind auch sie nicht mehr vor der Ausforschung durch andere Staaten geschützt.“ Sie warnt: „Die Ärztliche Schweigepflicht ist dann nur noch Makulatur, das Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung damit ebenfalls.“
Aktuell im EU-Parlament eine Mehrheit für dieses Vorhaben
Schon 2018 hätten die Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder sowie viele Verbände den Entwurf dieser Verordnung massiv kritisiert. Auch im EU-Parlament habe es zunächst großen Widerstand gegeben. „Aber durch ein datenbesessenes Drängen von Mitgliedsstaaten ist jetzt im EU-Parlament eine Mehrheit für dieses Vorhaben entstanden – es wird kaum noch zu stoppen sein“, berichtet die FÄ-Vize.
Dies allerdings bestärke wiederum alle kritischen Ärzte und Psychotherapeuten in Deutschland, ihren Widerstand gegen die Verlagerung aller sensiblen Krankheitsdaten in die ,Clouds‘ großer IT-Firmen fortzuführen. „Dies gilt damit insbesondere für jede ePA“, erläutert der FÄ-Vorsitzende, Wieland Dietrich.
Nicht nur von der EU – auch Bundesgesundheitsminister lässt massiven Druck auf niedergelassenen Ärzte ausüben
„Aus dem Ministerium von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn kommt massiver Druck auf die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen, die sich aus Gründen der Schweigepflicht bislang nicht an die Telematikinfrastruktur (TI) angeschlossen haben“, berichtet Dietrich. Große Teile der Praxisärzte hätten sich auch nur aufgrund drohender finanzieller Strafen an die TI angeschlossen. Von dem Projekt überzeugt seien sie nicht, ganz im Gegenteil: „Sie fürchten eine massive Belastung der Arbeitsabläufe und eine Gefährdung ihrer Praxisdaten.“
Dietrich unterstreicht: „Die vom Staat geplanten elektronischen Rezepte, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und Patientenakten sind unsicher, arbeitsintensiv und helfen weder Patienten noch Ärzten. Viele Kolleginnen und Kollegen werden daher weiter die bisherigen Kassenrezepte und AU-Bescheinigungen ausstellen, die ohnehin bei der absehbaren Nichtfunktionalität der neuen Plattformen weiter eingesetzt werden können.“ Von dem mancherorts befürchteten Verlust der Kassenarztzulassung müsse sich angesichts des Ärztemangels gerade in Versorgerpraxen niemand einschüchtern lassen.
Weitere Informationen zum Thema:
datensicherheit.de, 01.03.2021
Ohne Schweigepflicht: Dr. Suchmaschine / Suchmaschine des Vertrauens wird zu Krankheitssymptomen befragt – Weitergabe sensibler persönlicher Daten droht
datensicherheit.de, 07.12.2020
Elektronische Patientenakte: Souveränität der Versicherten über Gesundheitsdaten bewahren / Professor Dieter Kugelmann appelliert an Krankenkassen und Gesetzgeber, Gesundheitsdaten konsequent zu schützen
datensicherheit.de, 20.11.2019
Peter Schaar: Grundrechte und Rechtstaatlichkeit nicht verhandelbar / Ambivalente Erwartungen an ePrivacy- und e-Evidence-Verordnungen
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Gesundheitswesen: Datenschutz und Verschlüsselung mangelhaft / Patrycja Tulinska kommentiert neue Studie des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft
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