Aktuelles, Experten - geschrieben von dp am Sonntag, Juni 30, 2019 15:07 - noch keine Kommentare
Digitalpolitik: Kurswechsel im Gesundheitswesen gefordert
Sicherheitsprobleme erfordern Handeln – Befürchtungen rund um den Anschluss der Praxen an die Telematik-Infrastruktur bestätigt
[datensicherheit.de, 30.06.2019] Der Verband Freie Ärzteschaft e.V. (FÄ) fühlt sich nach eigenen Angaben im Kontext der gemeinsamen Pressekonferenz mit Medi Geno Deutschland und dem Freien Verband Deutscher Zahnärzte vom 27. Juni 2019 in Berlin in seinen „Befürchtungen rund um den Anschluss der Praxen an die Telematik-Infrastruktur bestätigt“. Das, was sie dabei „von IT-Fachleuten und Juristen, aber auch aus der ärztlichen Praxis“ gehört hätten, sollte alle politisch Verantwortlichen aufrütteln, betont Dr. Silke Lüder. Die stellvertretende FÄ-Bundesvorsitzende und Hamburger Allgemeinmedizinerin fordert demnach vor allem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf, „hier die Reißleine zu ziehen“.
Ärzteschaft unterstützt Digitalisierung – wenn sie sicher ist
„Die Ärzteschaft unterstützt sowohl die Digitalisierung als auch die moderne Kommunikation“, erläutert Dr. Lüder, „aber eben nur, wenn die Kommunikation der Gesundheitsdaten dezentral erfolgt und sicher ist.“
Es sei an der Zeit, Konsequenzen aus den bisherigen Pannen bei der Telematik-Infrastruktur (TI) zu ziehen. „Alles andere wollen und werden wir Ärzte nicht verantworten.“
Telematik im Gesundheitswesen: Weichen neu stellen!
Obwohl zahlreiche Experten seit Monaten vor den Gefahren durch grobe Sicherheitsmängel bei der TI und sinkende Sicherheitsstandards warnten, setze der Gesetzgeber seinen Kurs fort und investiere weitere Milliarden Euro in veraltete und unsichere Technik.
„Damit muss endlich Schluss sein.“ Lüder befürwortet „ein Moratorium für die gesamte Planung der Telematik im Gesundheitswesen, um die Weichen neu zu stellen“. Bundesgesundheitsminister Spahn sei aufgefordert, sein aktuelles Gesetzesvorhaben, das „Digitale Versorgung Gesetz“ (DVG), zu stoppen.
Befürchtungen rund um den Datenschutz traurige Realität
„Die Schilderungen der Fachleute und die Diskussion bei der Pressekonferenz haben uns einmal mehr vor Augen geführt, dass unsere seit Langem geäußerten Befürchtungen rund um den Datenschutz traurige Realität sind“, berichtet Dr. Lüder.
Teilweise würden augenscheinlich sogar Mitarbeiter von Zeitarbeitsfirmen, „die offenbar selbst nicht verstehen, wie die Systeme funktionieren, mit dem Anschluss der Arztpraxen an die TI beauftragt“. Ärzte und Psychotherapeuten, die auf deren Arbeit vertrauen, „weil wir ja selbst nun mal keine Informatiker sind“, erlebten hundertfache Systemabstürze.
Ärztliche Schweigepflicht und DSGVO setzen die Vorgaben
Auch liefen die Kosten für die Arztpraxen aus dem Ruder. „Ganz zu schweigen von der juristischen Haftung, wenn etwas schiefgeht und Patientendaten gehackt werden“, so Dr. Lüder. „Dabei sind wir laut Strafgesetzbuch dazu verpflichtet, die ärztliche Schweigepflicht einzuhalten und aufgrund der Datenschutzgrundverordnung verpflichtet, die Vorgaben zu erfüllen.“
Wie aber solle das gehen, wenn die Gematik „trotz Aufforderung des Bundesdatenschutzbeauftragten keine Datenschutzfolgeabschätzung für die Telematik-Infrastuktur vornimmt“, die dringend geboten sei…
Zu oft Zwang und Sanktionen angedroht
Dr. Lüder beklagt auch den Ton, „der seitens des Gesetzgebers mit dem DVG gegenüber den Ärzten angeschlagen wird“. Den habe es in dieser Form bisher nicht gegeben. Das „Wording“ des geplanten Gesetzes sei eine Missachtung der ärztlichen Freiberuflichkeit.
„An vielen Stellen ist allein von Zwang und Sanktionen die Rede, der Druck auf die Ärzteschaft wird noch einmal erhöht“, kritisiert Dr. Lüder. Es gebe kaum noch Freiwilligkeit für die Praxen und damit „auch kein Recht, über eigene Arbeitsergebnisse wie die gesamte ärztliche Dokumentation zu verfügen. Stattdessen sollen wir gezwungen werden, alles in einer zentralen und nicht kontrollierten ,e-Akte‘ zur Verfügung zu stellen.“
IT-Experten raten, „den Stecker zu ziehen“
Die FÄ-Vizevorsitzende stellt klar: „Nur weil die Ärzte sich bisher nicht zu großen Protesten auf der Straße einfinden, heißt das nicht, dass sie ihren Unmut ob der politischen Drangsalierung nicht zum Ausdruck bringen.“ Im Gegenteil: Nach wie vor sei der Prozentsatz jener Ärzte hoch, die sich dem zwanghaften Anschluss ihrer Praxen an die TI verweigerten – „und zwar ganz egal, welche Honorarabzüge Herr Spahn androht.“
Solange die Daten nicht überprüfbar sicher und Ärzte wie auch Psychotherapeuten in der Haftung seien, „sollten wir eher den Rat der IT-Experten befolgen, die uns auch heute empfohlen haben, den Stecker zu ziehen.“ Dr. Lüder warnt den Gesetzgeber davor, durch immer schärfere Sanktionen Ärzte in die innere Emigration zu treiben. „Wenn das so weiter geht, erwägen ältere Kollegen ein vorzeitiges Aufgeben ihrer Praxistätigkeit. Und junge Kollegen sind von der eigenen Niederlassung desillusioniert. Weder das eine noch das andere kann man wollen, denn beides würde den Ärztemangel weiter verschärfen.“
Weitere Informationen zum Thema:
MEDI GENO Deutschland, Freie Ärzteschaft und Freier Verband Deutscher Zahnärzte, 27. Juni 2019
Gemeinsame Pressemitteilung / Ärzteverbände warnen: Patientendaten für Hacker zugänglich
datensicherheit.de, 12.06.2019
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