Aktuelles, Experten, Studien - geschrieben von am Montag, Juni 22, 2020 15:12 - noch keine Kommentare

Digitale Transformation: Deutschlands Schüler bleiben zurück

Neue Studie stellt Zukunftsfähigkeit des deutschen Bildungssystems in Frage – Schüler weitgehend „digital inkompetent“ und Lehrpläne sowie Infrastruktur „mangelhaft“

[datensicherheit.de, 22.06.2020] Auch die vermehrte Nutzung digitaler Technik in Zeiten der „Corona“-Krise hat mehr als sonst schon deutlich gemacht, dass Digital-Kompetenz zunehmend wichtiger wird. Die Befürchtung aber, dass die Ausbildung derselben im deutschen Bildungssystem „auf der Strecke“ bleibt, hat durch aktuelle Erkenntnisse aus einer Studie der KOHORTEN Sozial- und Wirtschaftsforschung GmbH & Co. KG Nahrung erhalten: Demnach sind mehr als drei Viertel (78%) der Lehrkräfte in den Sekundarstufen 1 und 2 der Überzeugung, „dass das deutsche Bildungssystem nicht zukunftsfähig ist“. Das zeige eine gemeinsame Studie des KOHORTEN-Instituts in Kooperation mit NOAA Partners. Die Forscher hätten hierbei deutschlandweit 150 Lehrkäfte ausführlich interviewt.

Weitgehende Digital-Inkompetenz bei Schülern

88 Prozent der Lehrkräfte seien überzeugt, dass Schüler schon heute im Umgang mit digitalen Medien und dem Internet unterrichtet werden müssten. Zugleich beklagten jedoch 66 Prozent, „dass Schulen hier zu wenig tun“.
Besonders schlecht (Note 3,7) beurteilten die Lehrer die Fähigkeit der Schüler, digitale Informationen zu bewerten – diese könnten glaubwürdige Informationen von unglaubwürdigen kaum unterscheiden. „Ohne die Kompetenz zur Bewertung von Informationen wächst die Gefahr, dass die Schüler auf Fake-News hereinfallen“, warnt Studienleiterin und KOHORTEN-Geschäftsführerin Ariane Hofstetter.

Unternehmen drohen im Digitalen Zeitalter Anschluss an den Markt zu verlieren

Auch wichtige technische Grundkenntnisse der digitalen Welt (Note 4,1), die Nutzung digitaler Werkzeuge und Medien zum Lernen oder Arbeiten (Note 3,3) sowie Kenntnisse zum Datenschutz seien bei der Schülerschaft kaum vorhanden (Note 3.8). Lediglich die Fähigkeit der Schüler zur digitalen Kommunikation werde von den Lehrern als gut (Note 2,4) erachtet.
„Ohne Mitarbeiter mit tiefgreifendem Verständnis für alle Disziplinen der Digitalisierung verlieren Unternehmen im Digitalen Zeitalter den Anschluss an den Markt“, betont Digitalisierungsexperte Christian Massmann. Wenn die „Mitarbeiter von morgen“ nicht bereits während ihrer Ausbildung auf diese Anforderungen vorbereitet werden, sei das eine „Gefahr für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen“.

Lehrer nutzen kaum digitale Techniken

Nicht nur für die Schülerschaft könnten Defizite verzeichnet werden. Auch die Lehrkräfte sind nach Auffassung von Hofstetter „nicht auf Ballhöhe“: Digitaler Unterricht bedeute für 82 Prozent der Lehrkräfte, digitales Anschauungsmaterial – zumeist YouTube-Videos – im Unterricht abzuspielen. Die Lehrkräfte wollten den Unterricht damit unterhaltsamer und abwechslungsreicher gestalten.
Die Möglichkeiten digitaler Medien für die Anwendung des Erlernten oder Kontrollübungen blieben indes von den Lehrern „oft ungenutzt“. Lediglich 35 Prozent gäben an, diese Möglichkeiten zu nutzen. Das sei bedauerlich, denn damit könnten die Lehrkräfte ihre Schüler „doch sehr individuell und vor allem gezielt unterstützen“. Doch Hofstetter beschreibt den Stand der Dinge wie folgt: „Wir haben den Eindruck, dass viele digitale Errungenschaften, die in Unternehmen bereits heute genutzt werden, an hiesigen Schulen noch gänzlich unbekannt sind.“

Lehrpläne und Infrastruktur zumeist noch unzureichend

Trotz „Digitalpakt“ hätten die Lehrkräfte nur selten den Eindruck (34%), dass die Digitalisierung die ihr zukommende Bedeutung genießt. So sei in rund 40 Prozent der Schulen derzeit noch kein WLAN eingerichtet. Die Lehrkräfte fühlten sich nicht ausreichend auf die Digitalisierung des Unterrichtes und die Vermittlung digitaler Kompetenzen vorbereitet.
Die Hälfte (49%) der Lehrer bezeichne die Vorbereitung durch das Schulsystem als „ungenügend“ oder allenfalls als „gerade ausreichend“. Dazu Studienleiterin Hofstetter: „Und dabei wären die meisten Lehrkräfte interessiert, an einer entsprechenden Weiterbildung teilzunehmen.“

Vorbereitung auf Arbeitswelt 4.0: Grundlegende Veränderungen erforderlich

„Die Defizite in der Digitalisierung der Schulen erfordern grundlegende Veränderungen im Schulsystem“, fordert Massmann. Dies sehe auch jede zweite Lehrkraft so und fordere neue Lehrkonzepte, um die Schüler auf die „Arbeitswelt 4.0“ vorzubereiten. „Wer lediglich digitale Arbeitsgeräte beschafft, springt zu kurz.“
Die Lehrkräfte benötigten Qualifizierungen. Sie müssten zunächst mit den technischen Möglichkeiten vertraut gemacht werden. Anschließend sollten sie auch die didaktischen Anwendungen der digitalen Instrumente einüben. „Zudem müssen die Kultusministerien wesentliche praxisrelevante Inhalte zu den Chancen und Risiken der Digitalisierungen in die Lehrpläne einarbeiten und Hilfestellung geben, damit die Schulen überhaupt befähigt werden, um entsprechende Konzepte für den Erhalt der Fördermittel aus dem Digitalpakt vorzulegen.“

Rund 150 Lehrkräfte der Sekundarstufen 1 und 2 befragt

Grundlage der Studie war nach eigenen Angaben von KOHORTEN eine Online-Befragung von rund 150 Lehrkräften der Sekundarstufen 1 und 2. Die „Feldarbeit“ sei von September bis Oktober 2019 erfolgt. Die Untersuchung habe vorab mehrere Stufen durchlaufen. Als vorbereitende Stufe hätten Expertengespräche mit Lehrkräften und Entscheidern in Unternehmen gedient sowie eine angeschlossene „Desktop Research“.
Auf diesen Vorarbeiten aufbauend sei der Online-Fragebogen für die Hauptbefragung angelegt worden. Die Studienteilnehmer seien öfter weiblich, im Alter zwischen 30 und 49 Jahren. Vertreten seien alle Fachrichtungen – besonders häufig die Naturwissenschaften, Mathematik, Deutsch und Gesellschaftslehre.

Weitere Informationen zum Thema:

KOHORTEN SOZIAL- UND WIRTSCHAFTSFORSCHUNG, 13.05.2020
Digital Skills Gap-Studie

datensicherheit.de, 08.10.2019
Digitale Transformation: Hardware, Software und Orgware abstimmen



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