Aktuelles, Experten - geschrieben von am Montag, November 29, 2021 13:07 - noch keine Kommentare

Freie Ärzteschaft zur ePA: Geplante elektronische Patientenakte führt in die Sackgasse

Ampel-Koalitionäre zur Rücknahme der geplanten, viel kritisierten Opt-out-Option der ePA aufgefordert

[datensicherheit.de, 29.11.2021] Der Freie Ärzteschaft e.V. fordert in seiner aktuellen Stellungnahme die „Ampel“-Koalitionären zur Rücknahme der geplanten und schon jetzt viel kritisierten „Opt out“-Option bei der elektronischen Patientenakte (ePA) auf. Die ePA soll demnach 2022 an den Start gehen und nach Meinung der „Ampel“ automatisch für alle gesetzlich Versicherten von Geburt an verpflichtend als lebenslange Krankenakte angelegt werden – sofern dem nicht aktiv widersprochen wird („Opt out“). Damit gäbe es einen Paradigmenwechsel gegenüber der bisherigen Gesetzeslage.

ePA-Pläne ähnlich der letztlich gescheiterten Idee einer Widerspruchslösung bei der Organspende

Diese Pläne seien ähnlich der letztlich gescheiterten Idee einer Widerspruchslösung bei der Organspende aus dem Jahr 2020, wonach jeder Bundesbürger zunächst automatisch Organspender geworden wäre und später hätte widersprechen müssen.
„Auch bei der elektronischen Patientenakte können wir uns dieses Prozedere überhaupt nicht leisten, betont Dr. Silke Lüder, Vizevorsitzende der Freien Ärzteschaft und niedergelassene Allgemeinmedizinerin in Hamburg.

ePA nach wie vor völlig unausgereift

Unabhängig von der geplanten „Opt out“-Regelung sei die ePA nach wie vor „völlig unausgereift“ und nicht mehr als eine „unsortierte Sammlung von Dokumenten“, welche für Ärzte kaum nutzbar sei. „Von einer Verbesserung der Versorgung durch digitale Anwendungen kann nicht die Rede sein“, moniert Dr. Lüder.
Die Politik sollte einsehen, dass der geplante Weg „in eine Sackgasse führt“. Denn so werde es zu Chaos in den Arztpraxen bis hin zum Zusammenbruch der ambulanten Versorgung kommen, warnt Dr. Lüder und unterstreicht: „Wir wollen Patientinnen und Patienten behandeln und die Zeit nicht damit verbringen, eine zentral gespeicherte elektronische Akte, die diesen Namen nicht verdient, nach allen möglichen Befunden zu durchsuchen und zu bearbeiten.“

Patienten können ihre ePA selbst befüllen und auch Inhalte löschen

Beim kürzlich in Berlin durchgeführten Kongress der Freien Ärzteschaft, habe unter anderem Dirk Wachendorf, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht, über „Juristische Risiken für Ärztinnen und Ärzte durch die Nutzung der elektronischen Patientenakte“ referiert. Laut Wachendorf könnten Patienten ihre ePA selbst inhaltlich befüllen, „soweit dies nicht durch den Arzt erfolgt“, und auch Inhalte löschen.
Zudem könne der Patient dem Arzt ganz oder nur teilweise Zugriff auf die elektronische Patientenakte geben. Die Ärzte könnten deshalb prinzipiell nicht von einer medizinisch vollständigen Akte ausgehen. Eine unvollständige Sichtung der ePA impliziere einen Befunderhebungsfehler, dieser führe schnell zu einer Beweislastumkehr, Haftung und Verantwortlichkeiten des Arztes würden durch die ePA ausgeweitet.

ePA in geplanter Form massives Risiko für Datensicherheit in Kliniken und Praxen

„Uns Ärzte sollte diese Einschätzung aufrütteln“, so Dr. Lüder und führt weiter aus: „Wir sollten als Berufsstand alles dafür tun, uns nicht auf juristisches Glatteis zu begeben.“ Darüber hinaus gäbe es bei der ePA in der geplanten Form ein massives Risiko für die Datensicherheit in Kliniken und Praxen. Denn es könnten vom Patienten Dokumente in verschiedensten Dateiformaten eingestellt werden, womit erhebliche Risiken durch eingeschleppte Schadsoftware entstünden.
„Niemand kann es verantworten, sein Praxisverwaltungssystem einem solch unkalkulierbaren Risiko auszusetzen, und damit die Sicherheit der Patientendaten und die gesamte Funktionsfähigkeit der Praxis-EDV aufs Spiel zu setzen“, stellt Dr. Lüder klar.

Nach ePA-Einzug in Arztpraxen droht derzeit Notwendigkeit zur doppelten Aktenführung

Wieland Dietrich, Vorsitzender der Freien Ärzteschaft, teilt nach eigenen Angaben Dr. Lüders Bedenken: „Da hilft dann auch keine Datenschutzfolgeabschätzung mehr.“ Sollte diese ePA Einzug in die Arztpraxen halten, entstehe die Notwendigkeit zur doppelten Aktenführung, „weil wir uns auf die ePA alleine überhaupt nicht verlassen können – denn sie ist ja nicht verlässlich und womöglich nicht vollständig“. Deshalb, und bereits aus Dokumentationsgründen, sei die praxis- oder klinikeigene Patientenakte stets weiter zu führen.
Dietrich kritisiert: „Das wäre ein bürokratischer ,GAU‘. Die ePA bringt in der geplanten Form kaum Nutzen für den Patienten – stattdessen doppelte Aktenführung und unkalkulierbare Haftungs- und Datensicherheitsrisiken für Ärzte in Klinik und Praxen. Sie kann damit für Patienten und Ärzte allenfalls freiwillig sein.“

Weitere Informationen zum Thema:

datensicherheit.de, 02.11.2021
Forderung der Freien Ärzteschaft nach Aussetzen der Telematikinfrastruktur / Wieland Dietrich, Vorsitzender der Freien Ärzteschaft, kommentiert: „Einführung war dilettantisch und ist gefährlich.“

datensicherheit.de, 04.11.2019
Auch Freie Ärzteschaft kritisiert Digitales-Versorgungs-Gesetz / „Mit Vollgas gegen Datenschutz und Bürgerrechte“



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