Aktuelles, Experten - geschrieben von dp am Freitag, November 16, 2012 19:30 - noch keine Kommentare
Expertenforderung: Öffentlichkeitsfahndung über Soziale Netzwerke umgehend aus der rechtlichen Grauzone entfernen
PD Dr. Gabriele Kett-Straub von der Universität Erlangen-Nürnberg warnt vor „digitaler Tätowierung“ und fordert Klarheit für Fahndungsaufrufe im Internet
[datensicherheit.de, 16.11.2012] In einem aktuellen Expertenkommentar der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) äußert sich PD Dr. Gabriele Kett-Straub vom Lehrstuhl für Strafrecht und Kriminologie zu einem Beschluss, der auf der jüngsten Herbst-Konferenz der Justizminister der Länder gefasst wurde, wonach die rechtlichen Möglichkeiten einer Fahndung über Soziale Netzwerke geprüft werden sollen.
Es sei naheliegend, so Dr. Kett-Straub, dass auch die Polizei Soziale Netzwerke für ihre Zwecke nutzen will. Man hoffe mit Hilfe der riesigen Nutzer-Gemeinde auf Fahndungserfolge – die Fernsehsendung „Aktenzeichen XY – ungelöst“ werde somit quasi von facebook und twitter abgelöst. Verschiedene Polizeibehörden betrieben bereits eigene facebook-Seiten und zögen eine positive Bilanz.
Aktuell bitte z.B. die Polizei Hannover um Mithilfe bei der Aufklärung eines Tötungsdeliktes – auf anklickbaren Fotos seien verschiedene Gegenstände abgebildet, die im Zusammenhang mit dem Fund verschiedener Leichenteile eine Rolle spielten. Unter einer angegebenen Telefonnummer sollten sich diejenigen melden, die Angaben zu den konkreten Gegenständen machen können. Gegen ein solches Vorgehen sei rechtlich prinzipiell nichts einzuwenden, betont Dr. Kett-Straub; kritisch müsse indes hinterfragt werden, ob eine weltweite Suche nach Menschen, die drei in Niedersachsen gefundene Gegenstände kennen könnten, tatsächlich den erhofften Fahndungserfolg bringt oder ob nicht klassische Ermittlungsarbeit zielführender wäre. So dränge sich der Eindruck auf, dass es bei diversen Fahndungsaufrufen eher um eine „Selbstdarstellung der Polizeibehörden“ gehe als um ernsthafte strafprozesssuale Ermittlungsmaßnahmen.
PD Dr. Gabriele Kett-Straub: Öffentliche Bloßstellung eines von der Polizei Gesuchten komme bei geringfügigen Straftaten nicht in Betracht
Eine rechtliche Grauzone betrete die facebook-Fahndung aber spätestens dann, wenn die Namen oder gar die Fotos mutmaßlicher Straftäter gepostet werden, so Dr. Kett-Straub. Unsere Strafprozessordnung erlaube zwar unter den Voraussetzungen der §§ 131 ff. StPO eine sogenannte Öffentlichkeitsfahndung – es müsse sich dabei um „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ handeln. Einen konkreten Katalog, welche Delikte hierunter zu verstehen sind, habe der Gesetzgeber dem Gesetzesanwender nicht mit an die Hand gegeben. Doch klar sei, dass eine öffentliche Bloßstellung eines von der Polizei Gesuchten nicht bei geringfügigen Straftaten in Betracht komme. Erlaubt sei bei der Öffentlichkeitsfahndung grundsätzlich auch die Veröffentlichung von Bildern eines Beschuldigten oder gar eines Zeugen (§ 131b StPO). Demnach müsse beispielsweise die Feststellung der Identität eines Täters auf andere Weise erheblich weniger Erfolg versprechend bzw. die Feststellung der Identität eines Zeugen auf andere Weise sogar nahezu aussichtslos sein. Damit habe man geglaubt, den Rechten, insbesondere den Persönlichkeitsrechten von mutmaßlichen Tätern und Zeugen, Genüge getan zu haben. Doch bei Normierung dieser Voraussetzungen habe der Gesetzgeber nicht an ein Medium mit einem schier unbegrenzten Verbreitungsraum wie facebook denken können, gibt Dr. Kett-Straub zu bedenken.
Es mache eben einen großen Unterschied, ob eine Fahndungsausschreibung in einer Lokalzeitung bzw. durch den Aushang von Plakaten oder eben im Internet erfolgt. Jede Fahndung im Internet sei prinzipiell global – der Zugriff auf die betreffende Seite sei ja weltweit möglich. Und selbst wenn die offizielle Fahndung beendet wird, sei eine Löschung aller Informationen im Internet schlechterdings unmöglich. Ein konventionelles Fahndungsplakat könne indes abgehängt werden und auch ein Fahndungsaufruf in der Tageszeitung sei schnell vergessen, doch das Web vergesse nichts, warnt Dr. Kett-Straub. Ist ein mutmaßlicher Straftäter erst einmal gepostet, werde dieser Vorgang für immer mit seinem Namen verbunden bleiben, auch wenn er seine Strafe längst verbüßt hat. Er bleibe für immer „digital tätowiert“. Zudem machten auch Ermittler Fehler – man stelle sich nur die persönliche Katastrophe für denjenigen vor, der zu Unrecht in das Visier der Fahnder genommen wird. An Fälle von drohender Lynchjustiz wolle man gar nicht erst denken.
Natürlich könne und solle unsere Strafprozessordnung nicht auf jeden technischen Fortschritt mit neuen Vorschriften reagieren. Vielmehr sei ein Gesetz im Idealfall technisch neutral. Doch bezüglich einer Öffentlichkeitsfahndung habe sich die Situation der Betroffenen durch die Möglichkeiten des Internets so grundlegend geändert, dass eine Neuregelung der Materie unumgänglich sei. Zwei Dinge gelte es laut Dr. Kett-Straub nun gesetzlich zu klären – nämlich wann eine Internet-Fahndung zulässig ist und unter welchen Voraussetzungen private Internetanbieter mit in eine solche Fahndung einbezogen werden dürfen. Die Klärung dieser Fragen müsse zügig erfolgen, bevor durch die Kraft des Faktischen Tatsachen geschaffen werden.
Weitere Informationen zum Thema:
FAU, 16.11.2012
„Facebook-Fahndung ist eine rechtliche Grauzone“ / Kommentar von PD Dr. Gabriele Kett-Straub
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