Aktuelles, Experten, Gastbeiträge - geschrieben von ks am Donnerstag, Dezember 9, 2010 19:44 - noch keine Kommentare
WikiLeaks im Jahre 1931
Vor knapp 80 Jahren mussten die USA schon einmal eine Datenleck-Affäre überstehen
Von unserem Gastautor Klaus Schmeh
[datensicherheit.de, 09.12.2010] Ein US-Beamter veröffentlicht Staatsgeheimnisse, bringt die Vereinigten Staaten dadurch weltweit in peinliche Erklärungsnöte und ruft damit die Justiz auf den Plan. Und das alles, während die USA noch die Folgen einer Finanzkrise spürt…
Was sich nach der aktuellen WikiLeaks-Affäre anhört, ist in Wirklichkeit die Beschreibung einer Begebenheit aus dem Jahr 1931. Im Mittelpunkt des Geschehens stand damals der Kryptologe Herbert Yardley, der über 20 Jahre lang mit beachtlichem Erfolg als Chef-Codeknacker in Diensten des US-Außenministeriums gearbeitet hatte. Mit seinen Kollegen hatte Yardley zahlreiche Diplomaten-Telegramme, Spionage-Nachrichten und ähnliches dechiffriert, was seinem Dienstgeber so manchen Vorteil verschaffte. Im Jahr 1929 traf ihn die Weltgeschichte jedoch gleich doppelt. Zum einen nahm mit Henry Stimson ein neuer US-Außenminister seine Arbeit auf. Wie seine Vorgänger erfuhr auch er erst nach seinem Amtsantritt, dass eine geheime Codeknacker-Einheit („Schwarze Kammer“) zu seinem Zuständigkeitsbereich gehörte. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern war Stimson schockiert. Er weigerte sich, etwas so Unmoralisches wie eine Dechiffrier-Einheit zu nutzen und löste die Schwarze Kammer auf. Seine spätere Begründung „Gentlemen lesen die Post anderer nicht“ wurde zum geflügelten Wort.
Yardley stand nun auf der Straße und bekam das zweite Mal die Weltgeschichte persönlich zu spüren. Die USA standen nämlich mitten in der Weltwirtschaftskrise, und für einen arbeitslosen Codeknacker hatte nun wirklich niemand einen Job übrig. Oder vielleicht doch? Yardley kam auf die verwegene Idee, ein Buch über seine Codeknacker-Karriere beim Außenministerium zu schreiben – obwohl seine Arbeit natürlich unter strengster Geheimhaltung abgelaufen war. Das damalige WikiLeaks war der Verlag Bobbs-Merrill, der Yardleys Buch „The American Black Chamber“ 1931 veröffentlichte. Darin konnte die Öffentlichkeit nun im Detail nachlesen, wie Yardleys Einheit über Jahre hinweg deutsche, japanische, mexikanische und andere Codes geknackt hatte. Yardley nannte zwar kaum Namen, beschrieb jedoch die verwendeten Methoden und Ergebnisse recht genau. Der Schaden im Ausland war zweifellos größer als beim aktuellen WikiLeaks-Desaster.
Natürlich hätte das Außenministerium Yardley nun gerne wegen Geheimnisverrats vor Gericht gestellt. Doch die Ermittlungen verliefen im Sande. Die damals gültigen Gesetze hatten einige Lücken (mit so einer Veröffentlichung hatte der Gesetzgeber wohl nicht gerechnet), die Yardley geschickt genutzt hatte. Gemäß dem Grundsatz „keine Strafe ohne Gesetz“ kam er am Ende ungestraft davon. Seine Karriere im Staatsdienst der USA war damit allerdings beendet, obwohl die Amerikaner in Sachen Kryptologie schon bald wieder aufrüsteten und Yardley als erfahrenen Haudegen sicherlich hätten gebrauchen können. Selbst Henry Stimson, der 1940 Kriegsminister wurde, hatte gegen das Codeknacken bald nichts mehr einzuwenden. Herbert Yardley dürfte es egal gewesen sein. Sein Buch wurde ein weltweiter Bestseller und sicherte ihm eine weitere Kryptologen-Karriere in China und Kanada. „The American Black Chamber“ ist übrigens hervorragend geschrieben und daher auch heute noch eine interessante Lektüre. Spannender als die zahlreichen Berichte, die es bei WikiLeaks zu lesen gibt, ist es allemal.
Herbert Yardley (1889-1958) verlor 1929 seine Stellung als Codeknacker im US-Außenministerium. Aus Wut und Geldmangel veröffentlichte er sein Geheimwissen in einem Buch. Quelle: NSA (public domain)
Klaus Schmeh ist Autor des Buchs „Codeknacker gegen Codemacher“, in dem auch Herbert Yardley behandelt wird. Er betreibt die Website kryptomuseum.de.
Weitere Informationen zum Thema:
Herbert Yardleys Buch
Herbert Yardley: The American Black Chamber. Bobbs-Merrill, 1931
als Paperback: US Naval Institute Press, 2004
Yardley-Biografie
David Kahn: The Reader of Gentlemen’s Mail. Herbert O. Yardley and the Birth of American Codebreaking. Yale University Press, 2004
Klaus Schmeh
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